Mit Heike Drechsler und Karsten Schellenberg.
Männer sind Präventionsmuffel
Der kleine Unterschied zwischen Mann und Frau – gibt es ihn auch in sportlicher Hinsicht? Persaldo nutzte während des Gesundheitstages die Gelegenheit, um Olympiasiegerin Heike Drechsler und Personaltrainer Karsten Schellenberg diese und andere Fragen zu stellen.
Was würdet Ihr jemandem raten, der die passende Sportart für sich finden möchte?
Drechsler: Anfängersportlern würde ich empfehlen, einfach eine Sportart wie Nordic Walking, Schwimmen oder Rad fahren auszuprobieren und sich dann für eine zu entscheiden. Nur mit dem Erlebnis, mit der Aktion selbst, findet man auch heraus, welche Sportart einem Spaß macht. Für manche kann auch Tanzen die richtige Sportart sein – man sollte immer auf sein Innerstes hören.
Schellenberg: Manche machen den Fehler und gehen mit jemandem mit, der eine Sportart schon sehr lange betreibt. Dann merken sie vom Start weg, dass sie schlechter sind als der andere. Das liegt aber nicht daran, dass man diesen Sport nicht ausüben kann, sondern dass man eine falsche Messlatte hat. Deshalb sollte man die Wahl seiner Sportart völlig offen angehen.
Drechsler: Mein Sohn hat auch ausprobiert und seinen Weg gefunden: Fußball war nicht so sein Ding. Dann hat er eine Zeit lang Leichtathletik gemacht – und jetzt Snowboarden und Skateboarden.
Bewegung. Ernährung. Psyche. Welcher dieser Punkte ist der wichtigste, wenn es um das Thema Gesundheit geht?
Drechsler: Das muss man komplex sehen, denn die drei Faktoren gehören alle zusammen. Wichtig für die Gesundheit ist es, eine gute Balance dieser Punkte zu haben.
Schellenberg: Das Thema Balance halte ich für sehr wichtig, allerdings sollte man es auch nicht überbewerten. Deshalb würde ich sagen, dass am Anfang die Bewegung steht, weil man erst einmal in Bewegung kommen sollte. Also einfach loslegen! Wenn ich feststelle, dass ich zu dick bin und hole erst einmal 46 Ratgeber, dann höre ich eigentlich gar nicht auf mich selber…
Drechsler: Mir würde es auch so gehen. Wenn ich in einen Laden gehe und habe 1.000 Röcke zur Auswahl, dann gehe ich hinterher aus dem Laden wieder raus und habe gar keinen Rock gekauft.
Sport auf hohem Niveau zu treiben, gehört für Euch seit Jahren zum Alltag. Wie habt Ihr Eure Trainingsziele erreicht? War es mehr Talent, Ehrgeiz oder Disziplin?
Drechsler: Auch diese drei Punkte gehören zusammen. Ich denke, dass ich ein gewisses Talent hatte. Aber alles andere ist Fleiß und der Wille, leistungsbereit zu sein und hart zu trainieren. Und an den Zielen und Zwischenzielen zu arbeiten. Mein Oberziel „Olympische Spiele“ hatte ich natürlich immer im Kopf, aber auch die kleinen Tagesziele auf dem Weg dorthin waren für mich sehr entscheidend.
Wie haben sich die Trainingsschwerpunkte verändert?
Schellenberg: Mein Körper ist jetzt seit 40 Jahren geschunden und ich habe mittlerweile Probleme, manche Sachen zu machen. Das ist keine Lebenskrise, sondern ich habe einfach mit mir selber zu kämpfen. Zum Beispiel bin ich noch vor drei Jahren aus dem Stand heraus den „Transalp“ gelaufen – 240 Kilometer, von Deutschland nach Italien – und habe dabei eine Lust empfunden. Doch der Körper baut Jahr für Jahr ab und ich muss erkennen, dass dieser Lauf nun schädlich für mich ist – damit habe ich zu kämpfen.
Drechsler: Das hat auch ein bisschen mit dem Alter zu tun. Dass man die Leistung nicht mehr wie mit 20 Jahren abrufen kann. Bei mir war das dasselbe Thema: 27 Jahre Leistungssport. Man steht bei Olympia auf dem Treppchen und denkt, es geht Jahr für Jahr so weiter. Und dann ist auf einmal alles anders. Man muss zum richtigen Zeitpunkt den Schlussstrich ziehen, wenn der Körper nicht mehr will. Denn ich möchte mich gesund erhalten und auch danach noch Sport machen können.
Schellenberg: Da gehört eine ganze Menge Selbstbewusstsein dazu. Was Verletzungen angeht, bin ich mein Leben lang ganz gut durchgekommen. Die schwersten hatte ich ab 45 Jahren. Vor 20 Jahren bin ich mit wirklich harten Blessuren aus dem Wettkampf raus und am nächsten Tag zum Training. Heute laboriere ich immer noch an einer Fußentzündung herum, die ich mir vor einem Jahr bei einer Klettertour mit Jüngeren geholt habe. Der Wille ist zwar da, aber der Geist passt nicht zum Körper.
Drechsler: Die Regenerationszeiten werden immer länger. Je älter man wird, desto mehr Zeit braucht man, um sich zu erholen. Wenn man dem Körper diese Zeit nicht gibt, kann das zu Problemen führen.
Eure Trainingspläne waren ziemlich strikt. Was fiel Euch am schwersten, um den Plan einzuhalten?
Drechsler: Wenn alles rund läuft und man 20 Jahre lang Erfolg hat, dann baut man gerne auf dem alten Weg auf. Aber irgendwann gab es eine Situation, wo ich merkte: Es geht nicht mehr, ich kann nicht mehr den gleichen Weg gehen. Ich muss mich verändern. Und man kriegt auf einmal Verletzungen, die man mit Zwanzig eben nicht bekommt. Da mussten wir umdenken. Wir sind dann den anderen Weg gegangen und haben auf die Signale des Körpers gehört – also lieber einen Schritt zurück. Damit bin ich im Jahr 2000 (Olympiasieg im Weitsprung) noch einmal ganz gut gefahren. Auch ein Freizeitsportler sollte auf die Signale seines Körpers hören. Wenn jemand noch einmal einen Marathon laufen möchte, braucht er auch das Training, den Weg, die Vorbereitung dazu.
Schellenberg: Jeder spricht von Training und Vorbereitung. Kaum einer spricht davon, sich auch mal zu entspannen…
Drechsler: (lacht) Genau!
Schellenberg: … und sich einen Ruhetag zu nehmen. Weil das für einen Leistungssportler auch wichtig ist.
Drechsler: Ich denke an diesen Überehrgeiz von manchen Älteren – die trainieren mehr als ein Leistungssportler!
Sind denn Männer ehrgeiziger als Frauen?
Drechsler: Das würde ich nicht behaupten. Vielleicht gibt es diese Tradition noch: Der Mann – stark, darf keine Schwächen zeigen. Aber das ist nicht mehr so ausgeprägt. Man müsste mal eine Statistik aufstellen, wie viele Marathon-Männer es gibt…
Schellenberg: Ich glaube, der Focus ist ein anderer. Ich glaube, dass es bei Frauen vielleicht die optische Erscheinung ist und bei Männern, diese Leistung zu zeigen. Da geht es ja nicht um die Frage, wie viel man am Po abgenommen hat. Wenn Männer sich messen, sagen die: Du, ich laufe jetzt zehn Kilometer in vierzig Minuten. Das ist doch ein typisches Männerding zu sagen: Ich drück jetzt 120 Kilo in der Bank! Das ist bei Frauen kein Thema. Die Frauen sagen lieber: Guck mal, wenn du diese Übung machst, verändert sich der Innenschenkel. Das sind zwei völlig verschiedene Sichtweisen!
Drechsler: Der Mann will halt immer die Stärke nach außen zeigen. Und er ist auch ein Präventionsmuffel. Frauen sind offener, weil sie sich ab einem gewissen Alter mehr Gedanken machen. Die biologische Uhr tickt – das ist einfach so. Sie sind bewusster, haben eine ganz andere Einstellung. Frauen gehen in die Prävention und fragen: Was tut mir gut? Männer gehen erst zum Arzt, wenn es zu spät ist. Da gibt es Beispiele und Zahlen, die erschreckend sind.
Wie gingen und gehen Eure Familien mit Eurem Sportlerleben um?
Drechsler: Die wird mit integriert.
Wie müssen wir uns das vorstellen?
Drechsler: Zehn Jahre war ich in der DDR aktiv, dann kam 1989 die Wende. Da war ich 24 Jahre alt und brachte meinen Sohn zur Welt. Für mich war das auch ein Wendepunkt zu entscheiden: Mache ich weiter oder nicht? Ich habe mich dann noch einmal für den Sport entschieden. Ich hatte das Glück, dass mein Trainer mein Schwiegervater war und meine Schwiegermutter für den Kleinen da war, wenn ich trainiert habe oder mit meinem Studium zu tun hatte. Das war eine echte Bezugsperson. Wir waren praktisch ein Familienunternehmen – es lief alles Hand in Hand. Denn das stand für mich von vornherein fest: Ich wollte nicht, dass eine fremde Person mein Kind erzieht.
Schellenberg: Familie ist für mich wie eine Insel. Manche Leute, die in der Öffentlichkeit stehen, sind vom Charakter her schwierig. Wenn man mit denen bis zu drei Monaten unterwegs ist, dann brauche ich meine Familie auch, um den Akku wieder aufzuladen. Wenn ich mit meinen Kindern Sport mache, ist das wie eine Erholung für mich. Wenn ich mich auf Extremwettkämpfe vorbereitet habe, habe ich meine Jungs aufs Rad gesetzt, hab sie auf die Arme genommen und bin mit ihnen einen Berg hochgelaufen. Man kann also die Familie vollkommen integrieren! Als ehemalige Profitänzerin war es für meine Frau gar kein Thema, mich immer voll zu unterstützen. Ich glaube auch, dass das die innere Ruhe und die Gelassenheit ausmacht.
Welcher kulinarischen Versuchung können Sie nicht widerstehen?
Drechsler: Da gibt es einige. Wenn man sich ausgewogen ernährt, darf es auch mal Thüringer Klöße mit Entenbraten oder Kaninchen sein – oder ein kleines Stückchen Schokolade.
Schellenberg: Als Berliner gibt es nur eine Antwort: Currywurst!
Vielen Dank für das Gespräch.
Heike Drechsler, Jahrgang 1964, wurde 1992 und 2000 Olympiasiegerin im Weitsprung und holte in derselben Disziplin 1983 und 1993 WM-Gold. Die Sportlerin startete ihre Leichtathletik-Karriere in der DDR. Heike Drechsler arbeitet für eine bekannte deutsche Krankenkasse im bereich des betrieblichen Gesundheitsmanagement, hat einen Sohn und lebt in Karlsruhe.
Karsten Schellenberg, Jahrgang 1963, war als Bodybuilder und Kampfsportler erfolgreich und ist einer der gefragtesten Personaltrainer Deutschlands. Er betreut Musiker, Schauspieler und Models und schreibt Fitnessratgeber und -kolumnen. Karsten Schellenberg ist verheiratet, hat drei Kinder und lebt in Berlin.